Theo Boettger
Dunkle gesichtslose Gestalten, ein schreiender Säugling im Kinderwagen, Firmenlogos von Billigmärkten, Schlipsträger, zornige Tätowierte, Zombies mit faltigen Gesichtern und leeren Augenhöhlen, Strauchelnde, Fallende, Abgedrängte, bröckelnde Häuser, Wortfetzen, Personenfragmente, viel Schwarz und wenig Farbe – Theo Boettger entwirft in seinen großformatigen Aquarellen ein Pandämonium des modernen Lebens am Abgrund. Er wendet sich als Künstler Themen des Alltags zu, indem er gegen die zermürbenden Details sozialer Schräglagen, medialer Zumutungen und hoffnungsloser menschlicher Schicksalslagen an-malt. Mit seinen Bildthemen behandelt er das Ausgegrenzte, das am Rande balanciert, am Rande zum Scheitern, zum Verzweifeln und zum Explodieren. Ins Geschehen hineincollagierte schwarze Löcher und Spiralformen, schwarzes Bersten aus heftigen Pinselhieben und chaotische Kompositionen simultaner Handlungen geben den aus der Realität entlehnten realistischen Bildelementen eine gesteigerte Intensität. Der Künstler scheut vor banalen Beschreibungen im Bild und bricht seine erzählerischen Ansätze mit Symbolen und kommentierenden Wortfetzen, wie um durch die zum Entziffern nötige Zeit die Betrachtung zu verlangsamen. Denn: da steht prinzipiell nichts geschrieben, was nicht auch zu sehen wäre. Wo Leute agieren wie die Schwarz-weiß-Charaktere einer Comic-Story, kann man das Eine für das Andere nehmen, werden die Sprechblasengeschichten zu einer gleichberechtigten Realität, an der sich bildkünstlerische Formfindung entzündet. Verschlüsselung bedeutet bei Theo Boettger nicht, Fakten zu bemänteln. Auch wenn manche Handlungsabläufe nur fragmentarisch wiedergegeben werden, eine Stimmung grimmiger Kritik bleibt durch alle Filter künstlerischer Verfremdung hindurch immer deutlich. Distanz und Identifikation scheinen als ebenbürtige Gegner in heftigem Ringen miteinander erstarrt zu sein. Der Künstler gönnt sich nicht den Abstand des kühlen Analytikers und liefert auch keine sozialkritischen Bestandsaufnahmen auf dem geraden Weg. Ihre Klarheit beziehen seine Bilder aus der Aktualität ihrer Themen und aus ihrer tiefen Ernsthaftigkeit, wenn diese auch mitunter in hoffnungslose Düsternis umschlägt. In seinen Aquarellen nutzt Theo Boettger bewusst nur einen Bruchteil der Möglichkeiten des Mediums aus – die Farbigkeit ist auf wenige Primärtöne reduziert, es gibt keine dekorativen Verwischungen oder fließenden Farbverläufe. Einfachheit der Form ist das Ziel, formale Unruhe entspricht authentischer Beunruhigung. Die Arbeitsspuren – Wellen und Verwerfungen von reichlich Feuchtigkeit, Farbnasen und schwarze Auslöschungen – zeugen von der Heftigkeit des Entstehungsprozesses und erscheinen wie Schändungsmale auf dem einst weißen Papier. Hier hallt mehr nach als formale Koketterie mit dem Brachialen, mit der Heftigkeit und mit dem Aufrührerischen. Die eingestreuten Worte weisen den Weg einer diffusen gedanklichen Marschrichtung, doch es bleibt bei Andeutungen, die so auch nicht in Gefahr geraten, zu Parolen zu gerinnen. Wie Echos verweisen sie auf das Fragmentarische moderner Zeichenwelten. Künstlerische Auseinandersetzungen mit der akuten gesellschaftlichen Situation anhand von Straßenbeobachtungen haben eine reiche historische Tradition. Deren Höhepunkt markiert wohl die Großstadtmalerei des Expressionismus
und des kritischen Realismus der 1920er Jahre, die den Spannungsbogen ihrer Bilderzählungen oft aus der Gegenüberstellung von Arm und Reich, von scheinbar grenzenlosen Möglichkeiten des Amüsements und der Melancholie des Einzelnen in der Menge bezog. Theo Boettgers Bilder sind alldem womöglich thematisch vergleichbar, doch fehlt ihnen die »lichte Seite« nahezu ganz, wie als hätte man der Metropolis die strahlenden Fassaden abgenommen und es bliebe nur konturloser menschlicher Sumpf in ihren Gedärmen übrig. Der Künstler wendet sein Interesse den abgedunkelten Bereichen zu, dem Splatter-Szenario des Alltäglichen, doch er tut dies nicht minutiös beschreibend und statistisch versachlicht. Er spricht vielmehr bildlich die Sprache dessen, was er darstellt, ist ruppig, sarkastisch und doch nicht distanziert.
(Text von Johannes Schmi
Einzelausstellungen (Auswahl) | |
2013 | »RISE«, galerie baer, Dresden |
2011 | »Das Orakel«, Kunstverein Wolfsburg |
2010 | »Point of no return«, galerie baer, Dresden |
Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl) | |
2013 | »jetzt hier«, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Dresden |
2012 | »Apokalypse Utopie«, Galerie Pankow, Berlin (K) »Kontrollverlust«, Kunsthaus Erfurt »Kunst-Kunst. Von hier aus betrachtet«, GfZK Leipzig »l´oiseau présente... «, Ballhaus Ost, Berlin |
2011 | »Colorado«, galerie Modul 3, Dresden »Theo Boettger, Hannes Broecker, Eckehard Fuchs, Andreas Hildebrandt«, galerie baer, Dresden »Positionen Sächsischer Gegenwartskunst«, Villa Eschebach, Dresden »Dialoge – X. Biennale der Gegenwartskunst«, St. Petersburg, Russland |
2010 | »Welt und System«, Städtische Galerie, Dresden (K) »Otto-Dix-Preis«, Orangerie, Kunstsammlungen Gera (K) »houseparty II – come as you are«, galerie baer, Dresden »There’s a tear in my beer«, Westgermany, Berlin »Fred Rapid Glassworks«, Autocenter, Berlin (K) |
Vita | |
1975 | geboren in Meißen |
1996-2001 | Studium der Studium der Malerei/Grafik und anderen künstlerischen Medien an der Hochschule für Bildende Künste Dresden |
2001-2003 | Meisterschüler bei Prof. Hans Peter Adamski an der Hochschule für Bildende Künste Dresden |
lebt und arbeitet in Berlin | |
Preise/Stipendien | |
2006 | New Talents-Förderstand auf der Art Cologne |
2005 | Arbeitsstipendium der Käthe Dorsch Stiftung Berlin |
2004 | Stipendium Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf der Kulturstiftung des Freistaates Sachse |
2003 | Moskau Reisestipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes |
2002 | New York Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes; Hegenbarth-Stipendium der Dresdner Stiftung für Kunst und Kultur für das Projekt «No more heros« |
2000 | Studienstiftung des deutschen Volkes |
| Downloads |
Texte | |